Die Macht alter Freundschaften

In der Anne-Frank-Grundschule saßen wir zusammen an einem Vierer-Tisch. Unfreiwillig. Wir mochten uns nicht mal sonderlich. Er war einer von drei Jungen in dieser Sitzgruppe, mit mir als einzigem Mädchen. Ständig trat er mir gegen das Schienbein unterm Tisch, lenkte mich ab und bohrte mir eine Bleistiftspitze in den Handrücken (was ich bis heute bei jeder Gelegenheit gerne als Andenken vorzeige – es ist ein winziger grauer Punkt, der auch langsam zu verblassen scheint).

Wenn es aber Zoff mit den anderen Mädchen gab, stand er mir mit den anderen Jungs zur Seite. Er nahm mich in Schutz und unterstütze mich, wenn ich in Mathe mal wieder eine lange Leitung hatte. Bei der Abschlussfeier in der 6ten Klasse heulte ich Rotz und Wasser. Bei unserem einzigen Tanz zusammen fühlten wir uns richtig nahe und verabschiedeten uns. Wiedersehen sollten wir uns erst wieder in 10 Jahren.

Nachdem der Kontakt zu meinem Grundschulfreund abgebrochen ist, weil jeder seiner Wege ging, flammte er dank Social Media wieder auf. Wir fanden uns, trafen uns und verstanden uns auf Anhieb blendend! Als Erwachsene fanden wir uns irgendwie toller. Es gab jetzt kein Gehaue mehr, sondern einfach nur viel Gelächter. Mal mehr mal weniger sehen wir uns heute noch regelmäßig. Er war Gast auf meiner Hochzeit und wurde Patenonkel meiner erstgeborenen Tochter. Er hat unterschiedlichste Stationen in meinem Leben mitbekommen und somit auch, wie ich mich weiterentwickelt habe. Auch umgekehrt. Wiedergesehen habe ich ihn damals als Jura-Studenten. Nun arbeitet er in einer renommierten Kanzlei in München. Er fährt einen Cabriolet BMW und ich gerne Fahrrad. Vieles mag uns oberflächlich trennen und doch verbindet uns eine lange Vergangenheit. Er erinnert mich daran, woher ich komme. Welche Gefühle und Gedanken ich als Kind hatte und wie wir vor 15 Jahren tickten. Das Grundwesen blieb und doch hat sich vieles verändert.

Ich schwelge nicht ständig in der Vergangenheit und sehne mich “nach guten alten Zeiten”. Das ist für mich – recht forsch formuliert – Zeitverschwendung. Wenn in schon mal meine Gedanken abschweifen lasse, dann sehe ich auch das, was sich gewandelt und verbessert hat. Alle kleinen und großen Entscheidungen, die mich zum hier und jetzt gebracht haben. Alle Hindernisse, Ängste und Sorgen, die ich hinter mir lassen konnte und an denen ich gewachsen bin.

Viel zu oft gehen wir viel zu streng mit uns ins Gericht. Wir möchten so viel besser sein und wissen manchmal nicht wie oder warum es nicht so einfach klappt. Wir denken uns, dass es bei anderen wie geschmiert funzt, und doch haben auch “Vorzeige-Menschen” mit ihren Barrieren zu kämpfen gehabt. “Nichts fällt vom Himmel” ist eine alte Floskel und doch bewahrheitet sich diese. Indem wir uns ab und an darauf besinnen, was wir bis hierher geschafft haben, fühlen wir uns selbstwirksamer und selbstbewusster. Und wenn es “nur” der Übergang von der Grund- zur Oberschule war, die Wahl eines Berufes, die Ausbildung, das Studium, der Umzug, überstandene Trennungen und Liebeskummer. Das alles haben wir gemeistert und somit bezwingen wir auch die nächsten Hürden. Wir können jetzt mit mehr Erfahrung gewappnet, die nächsten Herausforderungen annehmen! Wir sollten nur endlich damit aufhören, uns unsere Erfolge klein zu reden!

In dem Buch “Lean in” von Sheryl Sandberg, dass ich gerade lese, wird dieses Phänomen auch unter die Lupe genommen. Es geht nicht darum, nur die “richtig” großen Erfolge zu feiern, die man öffentlich herumzeigen kann, sondern auch die kleinen, die gerne unter den Tisch fallen. Zum Beispiel kannst du dich feiern, weil du ein leckeres Essen gekocht hast, KEIN Geld ausgeben hast, einer Freundin beistehen konntest und 5 Euro über Kleinanzeigen dazuverdient hast. Dabei hilfreich ist ein Tagebuch oder ein Erfolgsjournal, indem man zum Ende des Tages zumindest drei noch so kleinen Yeah-Momente aufschreibt und reflektiert: “Ach ich bin doch ‘ne echt coole Sau.”

Mein Freund aus Grundschulzeiten und ich sehen uns manchmal nur zwei Mal im Jahr. Manchmal finden wir uns gegenseitig etwas kacke. Dann wieder haben wir uns richtig lieb und sind einfach nur dankbar, dass wir uns haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Band zwischen uns niemals abreißen wird. Es ist gut, eine emotionale Basis zum vergangenen Ich zu haben, dass keinen familiären Ursprung hat.

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